25. September 2020

Erfahrungsbericht

Ehrenamtliche Richtertätigkeit

Seit 2005 bin ich ehrenamtlicher Richter: zunächst jeweils zehn Jahre am Verwaltungsgericht in Dresden (VG DD) und am Sozialgericht in Chemnitz (SGC) und anschließend am Oberverwaltungsgericht in Bautzen (OVG) und am Landessozialgericht in Chemnitz (LSG). In diese Funktionen wurde ich vom Justizministerium auf Vorschlag des sbb berufen. Eine Legislatur dauert fünf Jahre, eine Wiederberufung ist, wie in meinem Fall, zulässig.

Grundsätzlich dürfen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes nicht als ehrenamtliche Richter tätig sein, da es Interessenkonflikte geben könnte, wenn z.B. ein Bürger oder eine Firma eine Behörde verklagt. Von diesem Grundsatz gibt es zwei Ausnahmen, nämlich in Rechtsangelegenheiten der Personalvertretungen und in solchen der Beamten. So konnte ich also in der 9. Kammer am VG DD und kann nunmehr im 9. Senat des OVG tätig sein.


Meine Berufserfahrung, die ich als ehemaliger Personalchef des Sächsischen Oberbergamtes und zuletzt als stellvertretender Vorsitzender des Hauptpersonalrates im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sammeln konnte, hat mir bei der Ausübung des Amtes als ehrenamtlicher Richter im Bereich des Personalvertretungsrechts sehr geholfen. Das ist übrigens ein wichtiger Grund für den Einsatz ehrenamtlicher Richter. Die Berufsrichter verfügen über die juristischen Kenntnisse für ihre Tätigkeit und die ehrenamtlichen Richter bringen ihre Lebens- und Berufserfahrung in die Entscheidungsfindung ein. Deshalb macht die Ansage „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil.“ durchaus Sinn.

Wichtig ist auch zu wissen, dass Berufsrichter und ehrenamtliche Richter gleiches Stimmrecht haben. Ehrenamtliche Richter sind also keine „Hilfsrichter“, die an das Votum der Berufsrichter gebunden sind. Nein, sie entscheiden mit eigener Stimme und können somit die Entscheidung wesentlich beeinflussen.


Als Beispiel möchte ich an dieser Stelle eine Entscheidung des SGC nennen. Streitig war die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall durch die zuständige Berufsgenossenschaft (BG). Ein Monteur hatte sich bei der Demontage einer Heizungsanlage schwer am Knie verletzt – offensichtlich ein Unfall während seiner Berufsausübung und damit ein Arbeitsunfall. Die BG sah das anders. Sie vertrat die Ansicht, dass bereits vor dem Unfall ein Schaden am Knie vorgelegen habe und der Kläger solle doch beweisen, dass das nicht der Fall gewesen wäre. Aber wie bitteschön, kann der Kläger das Nichtvorliegen einer Vorschädigung beweisen? Da hätte der operierende Arzt während der OP ein Video drehen müssen, was in der Praxis nicht vorstellbar ist. Wir beiden ehrenamtlichen Richter haben uns in der mündlichen Verhandlung der Auffassung des Klägers angeschlossen und damit den Vorsitzenden der Kammer, den Berufsrichter, überstimmt. „Im Namen des Volkes“ wurde der Klage stattgegeben. Der vorsitzende Richter machte aus seiner Meinung kein Hehl indem er in der internen Beratung der Kammer äußerte, dass die BG wohl dieses Urteil nicht akzeptieren und Berufung beim LSG einlegen werde. Sollen sie doch – war unsere Meinung als ehrenamtliche Richter.


Dieses Beispiel macht deutlich, dass in sozialen Streitigkeiten, in denen es um Berufskrankheiten, Arbeitsunfälle, Erwerbsunfähigkeitsrente, Pflegestufen und -grade u.ä. geht, die Entscheidungsfindung oftmals nicht leicht ist. Richter sind keine Ärzte und auf die Gutachten der Sachverständigen angewiesen. Interessant wird es, wenn mehrere Gutachten mit der entgegengesetzten Tendenz vorliegen.

Ich übe diese Nebentätigkeit sehr gern aus und werde das auch noch so lange tun, wie mir das möglich ist. Meine Empfehlung an alle Interessierten: Bewerbt euch als ehrenamtliche Richter bei eurer Gewerkschaft oder in eurer Kommune, die das Vorschlagsrecht haben!

Jürgen Kretzschmar
Vorsitzender der DVG Sachsen