16. Mai 2023

Inklusion und Teilhabe

5. Forum Inklusion und Teilhabe – „Inklusiver Arbeitsmarkt – Pandemie als Katalysator?“ - in Berlin

5. Forum Inklusion und Teilhabe – „Inklusiver Arbeitsmarkt – Pandemie als Katalysator?“ - Berlin, 24.04.2023

„Wer Inklusion will, sucht Wege; wer sie nicht will, sucht Begründungen."
(Hubert Hüppe, MdB)

Seit 2009 ist die UN-Konvention über die Rechten von Menschen mit Behinderung auch für Deutschland völkerrechtlich verbindlich. Darin wurde u. a. festgelegt, dass die Teilhabe für Menschen mit Behinderung ein Menschenrecht ist. Daher sind nunmehr sowohl die Bundes- und Landesregierungen als auch die Kommunen verpflichtet, Inklusion in allen Bereichen umzusetzen.

Bei der Umsetzung dieser Konvention gibt es allerdings noch erhebliche Reserven in Deutschland. Hier gilt es, am Ball zu bleiben. Nur 3 % aller Menschen mit Behinderung (sbM) werden so eingestellt – 97 % aller sbM erlangen erst im Laufe des Berufslebens einen Grad der Behinderung. Und diese Tendenz ist steigend, denn „Behinderung“ hat viele Gesichter. Besonders das stetig steigende Rentenalter, physischer und psychischer Stress im Arbeitsleben tragen dazu bei.

In Berlin fand nun das bereits 5. Forum Inklusion und Teilhabe im dbb Forum statt. In seiner Begrüßungsrede verwies Ulrich Silberbach darauf, dass aktuell im Öffentlichen Dienst ca. 360.000 Menschen fehlen, etwa 1 Mio Menschen werden aus Altersgründen in den nächsten Jahren den Öffentlichen Dienst ebenfalls verlassen. Das Land steht vor einer großen Herausforderung – diese Lücke zu schließen.

Derzeit sind mehr Menschen mit Behinderung arbeitslos, als vor der Pandemie, der inklusive Arbeitsmarkt muss vorangetrieben werden. Aktuell sind ca. ¼ aller Beschäftigten schwerbehindert. Das aktualisierte Teilhabestärkungsgesetz muss noch durch den Bundestag, die 4. Stufe, die Ausgleichsabgabestufe, muss bestätigt werden. Besonders der Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung ist wichtig, die weitere Zahlung des Lohnkostenzuschusses muss geklärt werden. Aber auch die Medizinversorgungs-VO, das Behindertengleichstellungsgesetz und das Barrierefreiheits-Stärkungsgesetz müssen reformiert werden. Im November 2022 wurde dazu u. a. die „Bundesinitiative Barrierefreiheit“ auf den Weg gebracht.

Der Beauftragte der Bundesregierung für Menschen mit Behinderung Jürgen Dusel betonte in seinen Ausführungen, dass z. B. ca. 1/4 aller Unternehmen der Beschäftigungspflicht für Menschen mit Behinderung nicht nachkommen, sie zahlen lieber „Strafe“ und kaufen sich damit sozusagen von dieser Auflage frei. Er kritisierte auch, dass die 4. Stufe des Ausgleichsabgabegesetzes so lange benötigt, bis es durch den Bundestag bestätigt wird – man könnte meinen, man würde hier den „Untergang des Abendlandes“ beschließen. Auch die besondere Unterstützung von schwerbehinderten Menschen, die 50 Jahre und älter sind, muss gesichert werden. Bei der fortschreitenden Digitalisierung in allen Bereichen muss ebenfalls unbedingt von Anfang an die Barrierefreiheit mit eingeplant werden. Der soziale Wohnungsbau im Hinblick auf Barrierefreiheit ist sehr wichtig, denn auch hier wächst der Bedarf immer mehr.

Herr Prof. Franz Josef Düwell (Vorsitzender am Bundesarbeitsgericht a. D., Honorarprofessor am Fachbereich Rechtswissenschaft) stellte fest, dass das Bundesteilhabegesetz zwar ein Anfang ist, aber die Inklusion verlangt hier dringend eine Fortsetzung. Er erinnerte daran, dass das Schwerbeschädigtengesetz bereits 1920 geschaffen wurde – die Vertreter der sbM wurden gewählt. 2016 wurden 12.000 Postkarten an die Bundesregierung gesendet mit der Bitte, die Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen zu unterstützen. Es gab zwar eine Zusage der Bundesregierung, aber bis heute ist nichts passiert. Es besteht nach wie vor die Forderung, die Vertreter der sbM durch die Arbeitgeber stärker einzubeziehen, und die Schwerbehindertenvertretungen besser zu informieren. Ebenfalls Handlungsbedarf besteht bei der Einführung von „JobCarving“, Arbeitsplätze müssen im Bedarfsfall individuell zugeschnitten werden und ergänzen damit das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM).

Im weiteren Verlauf der Tagung fand eine Podiumsdiskussion mit den behindertenpolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Bundestagsfraktionen statt (Herr Sören Pellman – Linke, Herr Jens Beeck – FDP, Herr Wilfried Oellers – CDU/CSU, Frau  Angelika Glöckner – SPD, sie vertrat auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit). Man tauschte sich zu den bereits behandelten Themen aus.

Auch das Thema „Heilungsbewährung“ wurde erörtert, Frau Marianne Schörnig (Fachanwältin für Sozialrecht) machte Ausführungen dazu. Sie stellte u. a. fest, dass die bisherigen Grundsätze für die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) aktualisiert und angepasst werden müssen. Derzeit liegt bereits der 6. Referentenentwurf dazu vor, und es bleibt zu hoffen, dass hier endlich eine Entscheidung fällt.

Herr Stefan Rittweger (Vorsitzender Richter am Bayerischen Landessozialgericht) kam in seinen Ausführungen zu dem Schluss „Wer nichts tut, diskriminiert!“ Wenn z. B. ein Arbeitgeber (AG) keinen Arbeitsplatz an eine neue Gegebenheit anpasst bzw. einem/einer betroffenen Mitarbeiter/Mitarbeiterin keinen neuen Arbeitsplatz anbietet, dann ist das diskriminierend. Die Person muss weiterbeschäftigt werden, dafür sind die Voraussetzungen zu schaffen. Kommt der AG dem nicht nach, das ist u. U. ein Bußgeld zu zahlen. In Spanien ist hier für eine Weigerung des AG eine Strafe in Höhe von 25.000 Euro zu entrichten!!! Das nenne ich mal konsequent.

Auch in Bezug auf Mobbing und Belästigung am Arbeitsplatz gibt es noch viel aufzuarbeiten. Betroffene melden solche Vorfälle viel zu selten aus Angst vor weiteren Belästigungen oder gar Kündigung. Hier sind Anlaufstellen zu schaffen, denen sich die Betroffenen anvertrauen können, und es muss Konsequenzen für die Verursacher solcher Mobbingattacken haben.

Abschließend kann man sagen, dass es eine gute Veranstaltung war, viele brennende Themen wurden angesprochen, besonders die, die noch immer nicht geklärt werden konnten. Bleibt zu hoffen, dass endlich Ergebnisse erzielt werden, die Zeit drängt. Wir sitzen alle in einem Boot, keiner weiß, ob er nicht morgen selbst Betroffener ist. Inklusion ist unverzichtbar, wir benötigen die Erfahrungen und das Engagement von jedem, niemand darf hier ausgegrenzt werden.

„Inklusion lässt sich nicht einfach verordnen. Sie hängt wesentlich auch von den Einstellungen, Erfahrungen und Vorurteilen ab. Es muss in den Köpfen noch viel passieren, bis wir die Andersheit von Menschen als Gleichheit erleben."
(Barbara Fornefeld, Professorin für Rehabilitationswissenschaft an der Universität Köln)